War gesellschaftlich verantwortungsvolles und ökologisch nachhaltiges Anlegen zur Jahrtausendwende noch ein Nischenangebot für ausgewählte Investoren, so erlebten in den vergangenen Jahren sog. „ESG-Anlageprodukte“ einen wahren Boom und sind aus dem Angebot der Finanzindustrie nicht mehr wegzudenken. Kein Finanzdienstleister, der seiner Kundschaft nicht irgendeine Form von Anlagen anbietet, welche ESG-Kriterien berücksichtigen. Nachfolgend erklären wir, was unter ESG genau zu verstehen ist und beleuchten einige spezifische Besonderheiten von ESG-Anlageprodukten.
Neben institutionellen Investoren (Pensionskassen, gemeinnützige Stiftungen, etc.) legen zunehmend auch viele private Anleger Wert darauf, dass ihr Geld nicht nur finanziell gewinnbringend, sondern auch ökologisch nachhaltig und ethisch verantwortlich investiert ist. Für den mit dieser Zielsetzung zum Teil verbundenen Interessenkonflikt wurden die ESG-Kriterien ursprünglich entwickelt. Die Abkürzung ESG umfasst die englischen Begriffe Environmental (E), Social (S) und Governance (G). ESG-Anlagen berücksichtigen somit neben der finanziellen Rendite eines Anlageinstrumentes auch dessen Einfluss auf die Umwelt und die Gesellschaft sowie die «Qualität» der Unternehmensführung. Damit ein Anlageprodukt als «ESG-konform» angesehen und als solches vermarktet werden kann, muss es folglich akzeptable ESG-Werte aufweisen. Doch wann genau ist dies der Fall?
Während es mehr oder weniger klare Vorgaben für die Beurteilung der finanziellen Aspekte eines Anlageinstrumentes gibt (Verschuldungsgrad, operative Rendite, Cashflow, etc.), ist es deutlich weniger klar, wann eine Anlage umweltverträglich oder ethisch korrekt ist. Ein illustratives Beispiel hierfür sind Elektroautos. Diese produzieren zwar beim Betrieb deutlich weniger Schadstoffe als Verbrenner, doch muss für eine abschliessende Beurteilung der Umweltverträglichkeit auch berücksichtigt werden wie ökologisch die Herstellung des Fahrzeuges ist, wie umweltfreundlich der Strom für dessen Betrieb ist und was am Ende des Lebenszyklus an Giftstoffen übrigbleibt. Auch, wann ein Unternehmen «gut» bzw. sozial verantwortlich geführt ist, kann nicht ausschliesslich mit mathematisch herleitbaren Kennzahlen bestimmt werden, sondern bedeutet immer die Vornahme einer menschlichen Einschätzung. Problematisch ist auch die Verwendung von zu vielen Parametern bei der Erstellung der Ratings, was oft zu einer Verwässerung der Ergebnisse führt. Ein wirklicher negativer ESG-Aspekt (z.B. eine massive Umweltverschmutzung) eines Anlageinstruments kann durch viele leicht positive Aspekte für das Gesamtrating bedeutungslos werden. Weniger wäre wohl auch in diesem Bereich mehr. So erstaunt es nicht, dass das gleiche Unternehmen von einer Ratingagentur ein sehr hohes ESG-Rating erhält, während eine andere zu einem nahezu konträren Ergebnis gelangt. Aus der untenstehenden Grafik ist gut ersichtlich, dass die Streubreite von ESG-Ratings viel grösser ist als diejenige von Finanz-Ratings. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die unterschiedlichen Vorgehensweisen der ESG-Ratinganbieter bei der ESG-Analyse, in Verbindung mit deren doch sehr stattlichen Zahl, nicht nur die Vergleichbarkeit der Ratings erschweren, sondern in einigen Fällen sogar zu konträren Ergebnissen führen.
Für den Anleger bedeutet dies wiederum, dass er sich nicht einfach auf das Label «ESG» verlassen kann, sondern schon genauer hinschauen muss. Wie so oft im Leben sind die Dinge zu komplex, um sie mit einer einfachen Systematik abzubilden. Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass immer wieder die Vorwürfe von «Greenwashing» bei einzelnen ESG-Anlageprodukten auftreten. Im Anlagebereich versteht man unter Greenwashing, wenn täuschende oder irreführende Angaben zu den Charakteristiken oder zur Zusammensetzung eines Anlageproduktes gemacht werden. Oder etwas umgangssprachlich: Es steht zwar ESG drauf, es ist aber nicht ESG drin. In der Schweiz sind bisher keine grösseren Verfehlungen im Zusammenhang mit Greenwashing bekannt geworden, doch wurde die Deutschen Bank im letzten Jahr mit USD 25 Mio. Strafe gebüsst, weil ihre Fondsgesellschaft (DWS) Falschangaben zu nachhaltigen Angaben gemacht hat.
Grundsätzlich ist die zunehmende Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei Finanzanlagen jedoch positiv zu beurteilen. Die Nachhaltigkeitsagenturen haben es geschafft, das Thema «Nachhaltigkeit» an den Finanzmärkten stärker in den Fokus zu rücken, wodurch langfristig positive Wohlstandseffekte erzielt werden. Zudem sind die Analysemethoden der ESG-Rating-Anbieter in den letzten Jahren verfeinert und dadurch aussagekräftiger geworden. Hierbei hilft sicher auch, dass sich die Regulierungsbehörden zum Ziel gesetzt haben, eine Standardisierung der Offenlegung von ESG relevanten Daten auf Unternehmensseiten voranzutreiben.
Während sich die Behörden in Europa konsequent für eine nachhaltigere Ausrichtung des Finanzmarktes einsetzen, kommt es in den USA aktuell allerdings zu einer gewissen Gegenbewegung. Diverse Bundesstaten wehren sich gegen den rigorosen Einsatz von Nachhaltigkeitskriterien bei Anlagen und haben sogar gesetzliche Massnahmen ergriffen, um den Einsatz von ESG-Anlageprodukte bei staatlichen Investoren (z.B. staatliche Pensionskassen) zu verhindern. Neben der Verfolgung politischer Ideologien, geschieht dies vor allem auch zum Schutz wichtiger Industrien in den entsprechenden Staaten. Angesichts der herausragenden Bedeutung der USA für die internationalen Finanzmärkte ist dies eine Entwicklung, die nicht nur positiv für den zukünftigen Stellenwert von ESG-Anlagen stimmt. Kommt hinzu, dass in den letzten Jahren viele Anleger auch Enttäuschungen mit ESG-Anlageprodukten hinnehmen mussten. Primär, weil diese zum Teil tiefere Renditen erzielt haben.
Für eine zukünftige positive Entwicklung im ESG Bereich ist es unabdingbar, dass einheitliche Markt-Standards in der Integration von ESG eingeführt und die Unternehmen mit einheitlichen Analysemethoden der ESG-Ratinganbieter bewertet werden. Es müssen auch genügend standardisierte ESG-Informationen seitens der Unternehmen zur Verfügung gestellt werden und vor allem genügend Know-How vorhanden sein, um die enormen Datenmengen verarbeiten und analysieren zu können.
Abschliessend lässt sich festhalten, dass ein breites Angebot von ESG-Anlagenprodukten, zumindest in Europa, zum Standard geworden ist und in den Portfolios der Anleger entsprechend auch rege zum Einsatz kommen. Es ist aber auch kein Geheimnis, das «nachhaltiges Anlegen» zum Modewort geworden ist. Daher ist es, wie oben beschrieben, alles andere als einfach, die für die konkreten Bedürfnisse der Anlegerinnen und Anleger passenden Produkte zu finden.
Der Anlageansatz der Trafina Privatbank AG bezieht bereits seit einigen Jahren konsequent ESG-Kriterien bei der Auswahl der Anlageinstrumente mit ein. Entsprechend verfolgen wir die Entwicklungen im Bereich der ESG-Anlageprodukte intensiv und mit dem von unserer Kundschaft geschätzten kritischen Blick.
Haben Sie Fragen zum Thema ESG-Anlageprodukte oder möchten Sie mehr darüber erfahren wie die Trafina Privatbank AG ESG-Kriterien im Anlageprozess umsetzt? Dann kontaktieren Sie gerne Ihren Kundenberater oder Matthias Wirz, Partner der Trafina Privatbank AG und Leiter Vermögensverwaltung & Anlagestrategie.
Marc Hoch, 15. April 2024