Waffenstillstand in der Ukraine?

  • Das zurzeit noch äusserst trübe Konjunkturbild für Europa hellt sich auf
  • Die europäischen Aktienmärkte dürften aufgrund zunehmender Gewinnerwartungen eine fortlaufende Neubewertung erfahren
  • Der SPI machte keine Pause und setzte seinen steilen Aufwärtstrend fort
Matthias Wirz
«Hoffnungen auf ein zeitnahes Kriegsende in der Ukraine.» Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner

Wie seit Anfang Jahr erzielten die europäischen Aktienmärkte auch in dieser Woche eine bessere Performance als der S&P 500 und Nasdaq 100. Dabei stiegen der DAX und der Euro Stoxx 50 auf neue Rekordstände, getrieben durch Hoffnungen auf ein zeitnahes Kriegsende in der Ukraine. Während in der Schweiz der SMI (ohne Dividenden) kurz vor dem Allzeithöchst steht, hat der breiter aufgestellte SPI (mit Dividenden) den Rekordstand bereits übertroffen.    

Aktuelle Situation

Die Berichtsaison der Unternehmen für das vierte Quartal nähert sich in den USA dem Ende: 77% der Firmen haben positiv überrascht, besonders in den Sektoren zyklischer Konsum, Finanzen und Kommunikation. Wenngleich die europäischen Unternehmen diesbezüglich zurückliegen, steigen die Aktienmärkte in Europa «von Top zu Top». Möglicherweise ziehen die laufenden Verhandlungen zwischen den USA und Russland über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg und die vergleichsweise tiefe Bewertung internationale Investoren an. Zudem dürfte der absehbare Rechtsrutsch in Deutschland wieder Hoffnungen auf die so dringend benötigten Strukturreformen aufflammen lassen. Diese umfassen u.a. tiefere Steuern, Investitionen in die teilweise marode Infrastruktur, eine wirtschaftsfreundlichere Energiepolitik sowie die Überprüfung des «Verbrenner-Aus 2030».

 

Der europäische Gaspreis hat bereits auf den Beginn der Ukraine-Verhandlungen reagiert und ist in der Berichtswoche von EUR 59 (pro MWh) Euro auf zuletzt EUR 49 gefallen (-17%). Massgebend hierfür sind die Markterwartungen, dass Russland seine Gasexporte in die EU im Fall eines Waffenstillstands in der Ukraine wieder aufnehmen wird. Der womöglich weitergehende Rückgang des europäischen Gaspreises wird zu einer erheblichen Entlastung des deutschen Maschinen- und Automobilbaus sowie der Industrie führen. Sofern die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte ebenfalls steigen, könnte in einem «Waffenstillstandsszenario» die Rezession in Deutschland noch in diesem Jahr zu Ende gehen.

 

Insgesamt hellt sich das zurzeit noch äusserst trübe Konjunkturbild für Europa aufgrund des unter Umständen zeitnahen Kriegsendes in der Ukraine auf. Für Europa politisch langfristig äusserst unbequem ist hingegen die Tatsache, in den Verhandlungen zwischen den USA und Russland über die Ukraine allenfalls nur Zaungast zu sein und wie die Ukraine vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Es zeichnet sich dabei immer mehr ab, dass die Ukraine grosse Gebiete (z. B. das industrielle Zentrum Dombass) an Russland wird abtreten und gleichzeitig die EU einen grossen Teil der Kosten zur Aufrechterhaltung des Waffenstillstands wird tragen müssen. Zusätzlich zu den enormen militärischen Kosten summiert sich der grösstenteils von Europa zu finanzierende Wiederaufbau, während sich die USA bereits heute Zugang zu wertvollen Rohstoffen im Tausch gegen Waffenlieferungen sichert.

 

Der Auftritt des amerikanischen Notenbank (FED)-Präsidenten Jerome Powell vor dem Bankausschuss des Senats bestätigte die Markterwartung, dass das FED zunächst eine Zinspause einlegen und allenfalls erst im September wieder eine Leitzinssenkung vornehmen wird. Dies gilt umso mehr, als die Inflationsrate im Januar mit einem Plus von 0.4% (4.9% annualisiert) bei der Kerninflation überraschend hoch ausfiel und den noch immer bestehenden erheblichen Inflationsdruck in der US-Wirtschaft unterstrich.

 

Während die EU für den Fall, dass die von den USA angekündigten Zölle auf Stahl und Aluminium am 12. März tatsächlich in Kraft treten, entsprechende Gegenmassnahmen angekündigt hat, geht die Regierung Trump bereits einen Schritt weiter und kündigt zusätzliche „reziproke“ Zölle gegen diejenigen Länder an, die aktuell höhere Zölle auf US-Exporte als die USA auf deren Importe erheben. Im Fall der EU liegt der durchschnittliche Zoll auf Importe aus den USA mit 3% zwar nur leicht über dem entsprechenden US-Zoll (2.4%), doch variieren die Niveaus in bestimmten Produktgruppen erheblich. So beträgt der EU-Zoll auf Autoimporte aus den USA 10% gegenüber 2.5% für EU-Autoexporte in die USA. Entgegengesetzt liegt der Zoll der USA auf leichten Lastwagen bei 25%. Diese Zollunterschiede sollten Spielraum für Verhandlungen und damit „Deals“ bieten, sodass schlussendlich die Erhöhung der Zölle geringer ausfallen könnten als ursprünglich befürchtet.


Unsere Empfehlung

In der Berichtswoche hat sich die trendmässige Outperformance der Substanz-Aktien (Value) gegenüber Wachstumstiteln (Growth) verstärkt, abzulesen an den typischen Value-Sektoren Gesundheit/Pharma, nicht-zyklischer Konsum sowie Industrie und Versorger. Da diese in Europa stark vertreten sind, dürften die europäischen Aktienmärkte in den nächsten Wochen aufgrund zunehmender Gewinnerwartungen eine fortlaufende Neubewertung erfahren und im Vergleich zum US-Markt weiter Boden gut machen.

 

Auch der Schweizer Aktienmarkt mit seinem hohen Gewicht an defensiven Substanz-Titeln machte keine Pause und setzte seinen steilen Aufwärtstrend fort. Nachdem bereits Roche und Novartis seit Anfang Jahr erhebliche Kursgewinne verzeichneten, rückte in den letzte Tagen Nestlé nach den besser als erwarteten Jahreszahlen und einem positiveren Ausblick für 2025 in den Mittelpunkt des Geschehens. Neben Nestlé sind aus fundamentaler und technischer Sicht vor allem Holcim, Lonza, Roche und Swiss Life und Georg Fischer zu empfehlen. Allerdings ist nach der Kursrallye von fast 11% (SPI) seit Jahresbeginn kurzfristig mit einer Konsolidierung zu rechnen.

   

In der Asset Allokation bleiben wir in Aktienanlagen zu Lasten Obligationen und Liquidität übergewichtet. Ein Teil der Anleihequote wurde aufgrund tiefer Renditeerwartungen in indirekte Immobilienanlagen (Anlagestiftungen bei Vorsorgeeinrichtungen, Immobilienfonds bei Privatkunden) verschoben. 

Taktische Positionierung

Obligationen: Untergewichtung; 4 – 8-jährige Laufzeiten bevorzugen
Aktien: Übergewichtung, USA, UK und Schweiz bevorzugen 
Währungen: USD/CHF über 0.86 absichern und EUR/CHF über 0.96 absichern
Rohstoffe: Industriemetalle, Energie übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Goldminenaktien attraktiv 
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
Transaktionen: Aktien: - ;  Obligationen:  -
Sektoren: Übergewichtung Versorger, Nicht-Zyklischer Konsum, Gesundheit           

Matthias Wirz, 14. Februar 2025