«Sinkende Zinsen und anziehende Gewinnerwartungen bilden ideale Voraussetzungen für weiter steigende Aktienkurse» Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner
Die Jahresendrally auf den Aktienmärkten hat an Schwung hinzugewonnen und breitet sich auch in Europa weiter aus. Trotz politischen Unsicherheiten in den beiden wirtschaftlich stärksten Ländern Frankreich und Deutschland haben in dieser Woche die europäischen Indizes, allen voran der DAX mit knapp 5%, sogar mehr zugelegt als die amerikanischen Indizes mit 1.5% (S&P 500) und 3.5% (Nasdaq). Einzig der SMI konnte mit einem Plus von nur 0.5% nicht mithalten, wobei vor allem die Indexschwergewichte Nestlé, Novartis und Roche den SMI bremsten, während Versicherer und zyklische Aktien deutlich zulegen konnten.
Die positive Aktienmarktentwicklung in Europa überrascht angesichts der aktuell schwachen Konjunkturindikatoren. Möglicherweise haben die grossen institutionellen Anleger die Verschiebung der Länderallokation in Richtung USA vorerst abgeschlossen, sodass auf dem gegenwärtig attraktiven Bewertungsniveau eine technisch getriebene Kurserholung einsetzte. Die Bewertungsunterschiede sind im historischen Vergleich aussergewöhnlich gross, indem Europa gegenüber den USA ein Abschlag von über 40% ausweist: das Kurs-Gewinn-Verhältnis (PE-Ratio) des S&P 500 liegt bei 25 gegenüber nur 14.5 des Euro Stoxx 50.
In Frankreich hat die Regierung Barnier die Vertrauensabstimmung im französischen Parlament erwartungsgemäss mit 331 Gegenstimmen (von 577) verloren. In der folgenden Fernsehansprache hat Frankreichs Präsident Macron die zeitnahe Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten versprochen, wobei die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung sowie Macrons niedrige Zustimmungswerte die Bildung einer neuen Regierung massiv erschweren. Indes ist es durchaus möglich, dass ein Finanzhaushalt für das Jahr 2025 auf Basis des hoch defizitären Haushalts 2024 verabschiedet wird, um ein finanzpolitisches Chaos zu vermeiden und die Anleger zu beruhigen. Entsprechend wird das Haushaltsdefizit im nächsten Jahr voraussichtlich erneut mehr wie 6% des BIP erreichen. Kein Wunder, haben sich die Risikoaufschläge (Credit Spread) französischer Staatsanleihen gegenüber Deutschland in den letzten Wochen erhöht. Entgegengesetzt sinkt der Credit Spread Griechenlands in den letzten Monaten, da das Land Budgetüberschüsse erzielt und die Verschuldung dadurch rasch fällt. Es ist daher eine Frage der Zeit, bis Griechenland wieder von allen Rating-Agenturen das begehrte Investment Grade-Rating von mindestens BBB- erhalten wird. Gegenwärtig vergibt nur noch Moody’s ein Rating (Ba1) unter dem genannten Niveau.
In der Eurozone zeichnet sich trotz aller Probleme eine leichte Konjunkturaufhellung ab: die Aufwärtsrevision des Einkaufsmanagerindex für Dienstleistungen im November von 49.2 auf 49.5 führte zu einem Anstieg des Gesamtindex von 48.1 auf 48.3. Die vom Markt erwartete Leitzinssenkung von 3.25% auf 3.00% der Europäischen Zentralbank (EZB) und der anschliessende Kommentar von EZB-Chefin Lagarde von nächster Woche könnte die noch immer erheblich eingetrübte Stimmung im produzierenden Gewerbe in den kommenden Monaten desgleichen verbessern wie der starke USD. Es ist deshalb davon auszugehen, dass fallende Zinsen und ein schwächerer EUR im nächsten Jahr durchaus einen zyklischen Aufschwung in Europa auslösen können.
In den USA überraschte der ISM-Einkaufsmanagerindex für Dienstleistungen im November mit 52.1 gegenüber erwarteten 55.7 nach unten, wobei vor allem die Arbeitsmarkt- und Auftragskomponente kraftlos waren. Der gleichfalls flaue Arbeitsmarktbericht vom November bestätigt die Markteinschätzung, dass die amerikanische Notenbank (FED) am 18. Dezember ihren Leitzins ebenfalls um 0.25% senken wird. Dabei sind zwar mit 227’000 leicht mehr als die erwarteten 220’000 neue Stellen geschaffen worden, doch erhöhte sich die Arbeitslosenquote von 4.1% auf 4.2%. Im neuen Jahr könnte das FED gemäss FED-Chef Powell vorsichtiger agieren, um die Folgen der angekündigten Wirtschaftspolitik der neuen Regierung Trump richtig einschätzen zu können. Freilich sind bis heute in Bezug auf Zölle und Steuersenkungen keine Details und konkreten Schritte bekannt.
Wir halten an unserer positiven Einschätzung der Aktienmärkte bis mindestens Ende Jahr fest. Sinkende Zinsen und anziehende Gewinnerwartungen bilden ideale Voraussetzungen für weiter steigende Aktienkurse. Das gilt in erster Linie für die Konjunkturlokomotive USA, die im nächsten Jahr von einem expansiven Policy-Mix profitieren wird. Die schon länger (sehr) expansive Fiskalpolitik wird von einer gleichfalls expansiven Geldpolitik begleitet werden, und zwar solange wie die Teuerungsrate im Zielbereich von 2% des FED verharrt.
In Europa ist angesichts der attraktiven Bewertung mit einer mindestens teilweisen Kurserholung zu rechnen. Das gilt allemal auch für den schweizerischen Aktienmarkt, bei welchem die Index-Schwergewichten Nestlé, Novartis und Roche erhebliches Kurspotential aufweisen. Möglicherweise werden ausserdem die arg ausverkauften Aktien von klein- und mittelkapitalisierten Unternehmen in einem Umfeld mit leichter Konjunkturerholung, tieferen Zinsen und einem kräftigen USD ein «Comeback» erleben.
Obligationen: Untergewichtung; Ausbau Unternehmensanleihen: 4 - 8jährige Laufzeiten bevorzugen
Aktien: Übergewichtung, USA, UK und Schweiz bevorzugen.
Währungen: USD/CHF über 0.86 absichern und EUR/CHF über 0.96 absichern
Rohstoffe: Industriemetalle, Energie übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Goldminenaktien attraktiv
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
Transaktionen: Aktien: ETF S&P 500, NTF Nasdaq 100; Obligationen:-
Sektoren: Übergewichtung Technologie, Gesundheit, zyklischer Konsum
Matthias Wirz, 06. Dezember 2024