Finanzmarktausblick 3. Quartal 2024

Soft Landing-Szenario intakt

  • Weiterhin keine Rezession in Sicht
  • Inflationsraten beharrlich über 3%
  • KI treibt Technologiewerte auf neue Höchststände – Rohstoffpreise konsolidieren
  • Zwischenzeitliche USD- und EUR-Aufwertung
Matthias Wirz
«Dank des Dienstleistungssektor ist ein Abgleiten der Weltwirtschaft in eine Rezession unwahrscheinlich.» Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner

Der US-Einkaufsmanagerindex für Dienstleistungen (ISMD) zeigte im Mai einen kräftigen Anstieg von 49.4 auf 53.8, wobei der Auftragseingang stark zunahm. Der ISMD legte damit auf den höchsten Wert seit August 2023 zu und steht in eklatantem Gegensatz zum ISM für die Industrie (ISMI). Dieser notiert seit November 2022 mit einer Ausnahme immerzu unter dem Schwellenwert von 50 und daher im rezessiven Bereich. Da der Industriesektor jedoch bloss einen Anteil von 18% an der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) erreicht, sollte der bedeutungsvollere Dienstleistungssektor die US-Wirtschaft im positiven Wachstumsbereich halten können. Dies gilt auch für den Fall, dass sich der Arbeitsmarkt weiter abkühlt, wie die stetige Abnahme der der offenen Stellen andeutet. Das Verhältnis zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen liegt zurzeit noch bei 1.24, verglichen mit 1.93 Ende 2022. Folglich dürfte der Lohndruck in den kommenden Monaten stetig nachlassen, ohne dass eine spürbare Abnahme der privaten Konsumtätigkeit eintritt.

Im Weiteren könnten die Investitionen in KI, berücksichtigt als «Intellectual Property» und «Software Investment» in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (BIP), unterschätzt werden. Dieser Erklärungsansatz dürfte neben der überaus expansiven Fiskalpolitik einen weiteren Grund darstellen, warum die USA trotz zweijähriger restriktiver Geldpolitik des FED und inverser Zinsstrukturkurve - entgegen dem historischen Verlauf - bisher nicht in eine Rezession abgeglitten sind.

Europas Wirtschaft verzeichnet dagegen seit rund zwei Jahren Nullwachstum, was sich angesichts der Sorgen um die politische Stabilität nach den Europawahlen kaum rasch ändern wird. Ausserdem lähmen hohe Lohnsteigerungsraten und Energiekosten sowie die ausufernde Bürokratie die Investitionstätigkeit der Unternehmen. 

China wiederum tut sich schwer, die Wirtschaftsdynamik der Vor-Pandemiezeit zurückzugewinnen. Dank expansiver Wirtschaftspolitik und gezielter Massnahmen zur Stabilisierung des taumelnden Immobiliensektors beschleunigte sich das BIP im 1. Quartal 2024 gleichwohl wieder auf über 5%.   


Unsere Anlagepolitik

Konjunkturdaten:

Dank des kräftigen und beständigen Dienstleistungssektors wird die Weltwirtschaft in diesem Jahr nicht in eine Rezession abgleiten. Da gleichzeitig die Inflationserwartungen sinken und in der Folge mit fallenden Leitzinsen zur rechnen ist, zeichnet sich ein positives Szenario für die Finanzmärkte ab.

Übergewichtung von Aktienanlagen ausbauen

Nach einer kurzfristigen Konsolidierungsphase, ausgelöst durch den überkauften Technologiesektor in den USA, sind an den Aktienmärkten weiter steigenden Kurse zu erwarten. Als Treiber hierfür sind der Rückgang der Teuerungsraten im Verlaufe der zweiten Jahreshälfte und dadurch neu entfachte Zinssenkungshoffnungen zu nennen. Davon profitieren die bisher zurückgebliebenen Sektoren Nicht-zyklischer Konsum, Versorger und Gesundheit. Regional bleiben die Schweiz und die USA unsere Favoriten.    

 

Anleihen mit kurzen und mittleren Laufzeiten sind kaufenswert

Während die meisten wichtigen Notenbanken in diesem Jahr mit Leitzinssenkungen beginnen werden, verharren die Langfristzinsen gemäss Marktmeinung in etwa auf den aktuellen Niveaus. Aufgrund der vorerst weiter bestehenden inversen Zinsstruktur sind deshalb Obligationen mit kurzen und mittleren Laufzeiten und gute Bonität zu empfehlen.

Immobilienfonds attraktiv

Die kotierten Immobilienfonds haben nach den erfolgten zwei Leitzinssenkungen der SNB weiter an Attraktivität hinzugewonnen. Mit dem Rückgang des allgemeinen Zinsniveaus in der Schweiz auf unter 1% für zehnjährige Staatsanleihen sind kotierte Immobilienfonds mit einer Ausschüttungsrendite von 3% pro Jahr attraktiv. Gleichzeitig liegt der mittlere Aufpreis gegenüber dem inneren Wert mit 11% unter dem historischen Durchschnitt.

Edelmetalle und Rohstoffe: Schwellenländer-Zentralbanken kaufen Gold 

Knappheit bleibt das dominierende Thema an den Rohstoffmärkten, weshalb in der zweiten Jahreshälfte mit erneut steigenden Preisen der Basismetalle zu rechnen ist. Gold bleibt begehrt, weil insbesondere China, Russland und andere Schwellenländer mit ihren Zentralbankkäufen die Abhängigkeit vom USD reduzieren wollen.

Martin Wegmüller
«Die starke Nachfrage der Zentralbanken wird den Goldpreis trotz steigender Realzinsen und der momentanen Dollarstärke weiter stützen. In Anbetracht der geopolitischen Spannungen sind neue Rekordstände wahrscheinlich. » Martin Wegmüller, Kundenberatung

Währungen: Erneute Aufwertung des Frankens

Mit der neuerlichen Aufwertung des CHF und der beständig tiefen Inflationsrate konnte die SNB die Leitzinsen im Juni erneut senken. Der USD ist zwar stark überbewertet, aber erst mit der Aussicht auf deutliche Leitzinssenkungen durch das FED erwarten wir eine kräftige Abwertung.

Alternativen zu unserer Anlagestrategie und Hauptszenario

Das oben beschriebene Hauptszenario hat gegenüber unserem Ausblick von Ende März eine unverändert hohe Gewichtung von 60%. Die beiden Alternativszenarien sind mit jeweils 20% gewichtet und sind entsprechend als unwahrscheinlich eingestuft.

Negatives Szenario: Rezession / Stagflation (Eintretenswahrscheinlichkeit gering)

In diesem Szenario bilden sich die Teuerungsraten langsamer als erwartet zurück und verharren zudem über dem Zielbereich der Notenbanken von 2%. Insbesondere aufkeimende Handelskonflikte, welche zu höheren Zöllen führen, sowie steigende Lohn- und Energiekosten resultieren in neuerlichen inflationären Impulsen. 

In der Folge werden die Zentralbanken ihre Leitzinsen entweder auf höherem Niveau belassen oder allenfalls sogar erhöhen müssen. Die bereits vielerorts schwächelnde Wirtschaftsaktivität wird damit weiter gedämpft, sodass eine Erholung im rezessiven Industriesektor ausbleibt. Für die Aktienmärkte ist ein Wachstumseinbruch in Verbindung mit anhaltend hohen (Leit-) Zinsen ein äusserst schlechtes Szenario, da die Bewertung unter Druck gerät und die Kurse daher stark fallen. An den Obligationenmärkten weiten sich die Kreditrisikoprämien bereits vorgängig kräftig aus, wohingegen «sichere Häfen» wie Staatsanleihen mit guter Bonität, Gold und die Währungen CHF und JPY Kursgewinne erzielen. 

Positives Szenario: Rasch sinkende Infaltionsraten und rascher Konjunkturaufschwung (Eintretenswahrscheinlichkeit gering)

In diesem Szenario sinken die Inflationsraten in der 2. Jahreshälfte schneller als erwartet und eröffnen dadurch den Zentralbanken frühzeitig mehr Spielraum in der Geldpolitik. Entsprechend werden die Leitzinssenkungen durch das FED und die EZB bis Ende Jahr noch mindestens zweimal gesenkt. Dadurch bilden sich auch die Langfristzinsen zurück, worauf die globale Wirtschaft markant an Dynamik gewinnt. Dies bedingt eine Wiederbelebung der Globalisierung der Lieferketten (v.a. mit China) und ein absehbares Kriegsende in der Ukraine, damit der Druck auf steigende Rüstungsausgaben nachlässt.

Dieses Szenario begünstigt risikotragende Anlagekategorien, wie zum Beispiel Aktienanlagen, insbesondere Wachstumssektoren (Technologie), sowie klein und mittelkapitalisierte Unternehmen. Im Weiteren sind Hochzins- und Schwellenländeranleihen zu bevorzugen.

Matthias Wirz, 04. Juli 2024