Das vorläufige Ende des «Carry-Trades»

  • Der Einkaufsmanager in der amerikanischen Industrie (ISM) signalisiert weiterhin rezessive Tendenzen.
  • Der schwächer als erwartete US-Arbeitsmarktbericht für Juli verzeichnete eine mit 4.3% über Erwarten steigende Arbeitslosenquote (4.1%).
  • Defensive Sektoren wie zum Beispiel Nicht zyklischer Konsum, Versorger und Gesundheit sind kaufenswert.
Matthias Wirz
«Grosse Hedgefonds mussten ihre «Carry-Trades» infolge fulminant steigender Verluste und dadurch ausgelösten «Margin-Calls» auflösen.» Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner

Anfang Woche kam es in Japan zu einem «Börsen-Crash» wie ihn die Marktteilnehmer seit Jahren nicht mehr gesehen haben. Obwohl die Bank of Japan (BOJ) bereits im März die Zinswende mit einer ersten Anhebung um 0.10% einläutete und die jüngste Erhöhung um 0.25% nicht unerwartet kam, büssten der Nikkei- und Topix-Index am Montag über 12% ein. Bereits unmittelbar nach dem Notenbankentscheid letzte Woche gaben die beiden Indizes rund 9% ab.


Aktuelle Situation

Während die Aufwertung des JPY, unterstützt durch Interventionen der BOJ, schon Mitte Juli begann, reagierten die Aktienmärkte erst mit erheblicher Verzögerung. Offensichtlich mussten grosse Hedgefonds ihre «Carry-Trades» infolge der erst langsam und dann fulminant steigenden Verluste und dadurch ausgelösten «Margin-Calls» (Nachschusspflicht) auflösen. Mit «Carry-Trade» wird eine Handelsstrategie bezeichnet, bei der Kapital in einer Währung mit niedrigen Zinsen aufgenommen (Verschuldung) und in einer Währung mit höheren Zinsen angelegt wird. Dabei ist die Zinsdifferenz der potentielle Gewinn, welcher bis vor kurzem im JPY (Verschuldung) und USD (Anlage) attraktiv war, weil die Parameter Zinsen und Währung stabil waren. Das beträchtliche Risiko des Carry-Trades besteht folglich in unerwarteten Zinsänderungen und/oder Währungsschwankungen. Das Risiko dieser Strategie wird noch um ein Vielfaches grösser, wenn – wie im JPY/USD-Trade - auf der Anlageseite statt in kurzfristige USD-Anleihen in Nasdaq-Aktien investiert wird. 

Zwei weitere Treiber für die hohen Kursverluste zum Wochenbeginn bildeten die Umfrage der Einkaufsmanager in der Industrie (ISM), welche weiterhin rezessive Tendenzen anzeigt und insbesondere der schwächer als erwartete US-Arbeitsmarktbericht für Juli. Dieser verzeichnete neben sinkenden Neueinstellungen eine mit 4.3% über Erwarten steigende Arbeitslosenquote (4.1%) und löste zudem die «Sahm Rule» aus. Diese prognostiziert eine Rezession, sofern der Anstieg der Arbeitslosenquote über einen gleitenden Dreimonatsdurchschnitt mindestens 0.5% über ihr tiefstes Niveau der letzten 12 Monate erreicht. Möglicherweise ist die Arbeitslosenquote im Juli-Bericht aufgrund des Hurrikans Beryl jedoch überhöht, da vor allem Zeitarbeiter ihre Stelle sofort verloren. Andere Indikatoren signalisieren zwar eine Konjunkturabschwächung, aber keine Rezession: die Detailhandelsumsätze und Bestellungen langlebiger Konsumgüter zeigen sich robust, und der ISM des Dienstleistungssektors, welcher den weitaus grössten Beitrag zum Wirtschaftswachstum liefert, verzeichnete zuletzt eine Erholung.

Im Gegensatz zu den risikotragenden Anlagekategorien profitierten in diesem volatilen Umfeld die «sicheren Häfen» Staatsanleihen, Schweizer Franken und Gold. Folglich notieren 10-jährige USD-Staatsanleihen wieder unter der Marke von 4%, deutsche Bundesanleihen bei 2.20% und die «Eidgenossen» bei 0.40%. Gleichzeitig sanken der USD/CHF und EUR/CHF zeitweise unter 0.85 resp. 0.93. Die Marktteilnehmer erwarten mittlerweile einen ersten Zinssenkungsschritt der amerikanischen Notenbank (FED) von 0.50% im September, da das FED „behind the curve» und entsprechend das Risiko einer harten Landung der US-Wirtschaft erhöht sei. Es ist tatsächlich davon auszugehen, dass der FED-Vorsitzende Jerome Powell am jährlichen Zentralbanken-Meeting in Jackson Hole (ab 22. August) die Teilnehmer auf einen ersten (kräftigen) Zinssenkungsschritt im September einstimmt und weitere Senkungen in Aussicht stellt, sofern sich die Inflationsrate weiterhin in Richtung des Ziels von 2% annähert.

Auf der Unternehmensebene ist die Berichtssaison in den USA und Europa bereits weit fortgeschritten und überrascht weitgehend positiv. Allerdings belasteten mehrere Aussagen der Firmen: 1. Hinweise auf Nachfrageschwäche in China und den USA; 2. Probleme mit Preisüberwälzungen und mangelndes organisches Wachstum beim Grundkonsum; 3. Unsicherheit über zeitnahe Gewinne aus den hohen KI-Investitionen belasten die Technologie-Schwergewichte.


Unsere Empfehlung

In der taktischen Anlagestrategie setzen wir unverändert auf eine Übergewichtung der Aktienanlagen. Nach der (erwarteten) Konsolidierung und einer Korrektur bei den Technologiewerten dürfte sich die Volatilität, die zeitweise auf über 50% angesprungen ist, wieder zurückbilden. Eine Korrektur um 10% in einem «Bullenmarkt» ist zudem historisch nicht aussergewöhnlich. Gleichzeitig haben sich dadurch die überdurchschnittlich hohen Bewertungen zurückgebildet und dürften für neues Kaufinteresse der Anleger sorgen. Das tiefere allgemeine Zinsniveau, das auch zu einer wieder beinahe normalen Zinsstruktur zwischen den 2- und 10-jährigen USD-Renditen geführt hat, wird die Aktienmärkte in den kommenden Monaten zusätzlich unterstützen.

Während wir mit Zukäufen im Technologiesektor noch zuwarten, sind defensive Sektoren wie zum Beispiel Nicht-zyklischer Konsum, Versorger und Gesundheit bereits wieder kaufenswert. Diese sind vor allem im Dow Jones, SMI und FTSE enthalten. Auf der Obligationenseite empfehlen wir Unternehmensanleihen mit kurzen und mittleren Laufzeiten guter Bonität.

Taktische Positionierung

Obligationen: Untergewichtung; kurze und mittlere Laufzeiten bevorzugen, Unternehmensanleihen übergewichten
Aktien: Abbau Übergewichtung 
Währungen: USD/CHF über 0.88 absichern und EUR/CHF über 0.96 absichern
Rohstoffe: Industriemetalle, Energie übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Silber und Platin neutral
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
TransaktionenAktien:Obligationen: -
Sektoren: Übergewichtung Gesundheit, nicht zyklischer Konsum, Versorger
Themen: Basis- und Edelmetalle, Energie

Matthias Wirz, 09. August 2024