«Zurzeit befinden sich die Aktienmärkte an einem Scheideweg» Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner
Nach der Sitzung der amerikanischen Notenbank (FED) diese Woche hat FED-Chef Powell an der Pressekonferenz eine - von einigen Marktteilnehmern befürchtete - erneute Leitzinserhöhung klar in Abrede gestellt. Die Erleichterung an den Finanzmärkten war entsprechend gross. Gleichzeitig betonte Fed Chairman Powell aber auch, dass «die Inflationsrate immer noch zu hoch sei und es länger daure bis sich diese dem Ziel von 2% annähere». Folglich werde die erste Leitzinssenkung zeitlich nach hinten verschoben.
Der Geldmarkt erwartet den ersten Zinsschritt nun frühestens im September. Wie erwartet hat das FED zudem beschlossen, den Abbau der Bilanz zu verlangsamen. Ab Juni werden Staatsanleihen (Treasuries) nur noch in der Höhe von USD 20 Mrd. statt USD 60 Mrd. auslaufen gelassen. Hingegen sind es bei den Hypothekenpapieren unverändert USD 35 Mrd.
Nach dem FED-Meeting sind die 10-jährigen Treasury-Renditen von 4.65% auf 4.50% gefallen, worauf auch die Aktienmärkte weltweit leichte Kursgewinne verzeichneten. Im Gegensatz zum FED deuten die Signale der Europäischen Zentralbank (EZB) klar auf eine erste Zinssenkung im Juni hin. Die EZB hat sich mit der restriktiven Geldpolitik der letzten zwei Jahre den geldpolitischen Spielraum geschaffen, der sich aus der in Richtung der Zielgrösse von 2% sinkenden Kern-Teuerungsrate (im April 2.7%) in der Eurozone ergibt.
Nicht nur an der Teuerungsfront, sondern auch im bisher so düsteren Konjunkturbild ist Licht am Ende des Tunnels sichtbar. Das Wirtschaftswachstum hat sich in der Eurozone im ersten Quartal von +0.1% auf +0.2% beschleunigt, leicht über den Erwartungen von +0.1%. Selbst Deutschland verzeichnete mit +0.2% nach -0.5% im Vorquartal wieder Wachstum. Besonders kräftig aber läuft es weiterhin in Spanien und Portugal, wo die Wirtschaftsaktivität um jeweils 0.7% oder um annualisiert +2.8% zugelegt hat. Ausserdem zeigen die Einkaufsmanagerindizes des verarbeitenden Gewerbes der Eurozone für den April mit einem aggregierten Wert von 45.7 leicht steigende Tendenz, wenngleich von tiefem Niveau ausgehend. Während sich die Stimmung in Deutschland und Frankreich weiter aufhellt, hat sich diese in Italien nach einem «Zwischen-Top» bei 50.4 wieder auf 47.3 eingetrübt.
Der fulminante Anstieg des Goldpreises ab Anfang März hat sich zuletzt nicht weiter fortgesetzt. Mögliche Gründe für den Rückgang vom Höchstwert bei USD 2'400 auf USD 2'300 sind der Aufschub der ersten Leitzinssenkung in den USA und der starke USD. Zudem liefern die jüngsten Zahlen des «Gold Councils» (globale Lobby-Organisation der Goldbergbauindustrie) zur Goldnachfrage im ersten Quartal 2024 keine Erklärung für den vormaligen Anstieg des Goldpreises. So ging die Nachfrage auf 1’102 Tonnen zurück, verglichen mit 1’143 Tonnen im vierten Quartal 2023. Neben den weiterhin kräftigen Käufen der Zentralbanken (+290 Tonnen) wurden die rückläufigen Bestände bei ETFs (-114 Tonnen) teilweise durch Käufe chinesischer Privatanleger kompensiert (+111 Tonnen).
Die Berichtssaison der Unternehmen in den USA verzeichnet bisher eine überdurchschnittliche positive Gewinnüberraschungs-Quote von 79%. Dafür sind vor allem die Ergebnisse im Bankensektor verantwortlich. Zuletzt haben aber auch die Ergebnisse und der Ausblick der Technologie-Megacaps Amazon und Apple überzeugt.
Bei Apple führte neben besser als erwarteten Umsätzen vor allem das grösste Aktienrückkaufprogramm aller Zeiten von USD 110 Mrd. (!) zu einem Kursanstieg von rund 6% in dieser Woche.
Zurzeit befinden sich die Aktienmärkte an einem Scheideweg: zum einen kühlt sich das Wirtschaftswachstum in den USA nach langer Verzögerung ab, zum anderen sind die Teuerungsraten - wie vom FED moniert - zu hoch. Folglich bilden sich die kurz- und langfristigen Zinsen nicht wie ursprünglich erwartet zurück, sondern bleiben auch in den kommenden Monaten, insbesondere am kurzen Ende der Zinskurve, auf hohem Niveau. In diesem negativen fundamentalen Umfeld dürften die teilweise hohen Bewertungen an den Aktienmärkten unter Druck geraten. Demzufolge bauen wir in der Anlagetaktik die Übergewichtung der Aktienquote ab und empfehlen eine neutrale Positionierung. Insbesondere ist die USA und dort der US-Technologiesektor (Nasdaq) vom Abbau betroffen, während wir die Sektoren «Gesundheit» und «Nicht-zyklischer Konsum» unverändert übergewichten.
Hingegen ist eine Rückstufung des schweizerischen Aktienmarkts weniger zwingend, da dieser ein hohes Gewicht an defensiven Titeln ausweist (Novartis, Roche und Nestlé). Trotz unternehmensspezifischer Risiken sollten sich Roche und Nestlé in einer allfälligen Marktkorrektur relativ gut behaupten, auch weil deren Bewertung mittlerweile viele negative Faktoren eingepreist hat. Die konjunktursensitiven Small- und Midcaps sind zwar historisch tief bewertet, doch drängt sich ein Kauf erst bei einer Lockerung der Geldpolitik auf.
Obligationen: Untergewichtung; kurze und mittlere Laufzeiten bevorzugen, Unternehmensanleihen übergewichten
Aktien: Abbau Übergewichtung
Währungen: USD/CHF über 0.88 absichern und EUR/CHF über 0.96 absichern
Rohstoffe: Industriemetalle, Energie übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Silber und Platin neutral
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
Transaktionen: Aktien: Verkauf EQQQ, CSSPX; Obligationen: 1 ¾% Barry Callebaut 2026
Sektoren: Übergewichtung Gesundheit, nicht zyklischer Konsum
Themen: Basis- und Edelmetalle, Energie
Matthias Wirz, 03. Mai 2024